Das Wichtigste über Delphi 2.0

Aufbruch in die 32-Bit-Welt von Win95 und NT


Verfasst: 15. April 96

Autor: Max Kleiner, max_kleiner@compuserve.com, Kleiner Kommunikation, Bern, Schweiz
Letzte Überarbeitung: 29.01.12
Eine kommerzielle Weiterverwendung dieses Textes ist bei korrekter Zitierweise unter Angabe der Quelle erlaubt.


Inhaltsverzeichnis


Die Highlights von Delphi 2.0


Unter dem Projektnamen "Delphi 2" und der Sprache Object Pascal verbirgt sich Borlands neues interaktives Entwicklungssystem in der Version 2. Dabei handelt es sich um eine genial durchdachte Windows-Entwicklungsumgebung und nicht etwa - wie man zunächst vermuten könnte - nur um eine neue Version von Borland Pascal.

Borland-Logo

Auf zum Olymp

Borland hat jetzt eine umfassende Strategie für ihre Client/Server-Aktivitäten bekanntgegeben. Dazu gehören neue Produkte und strategische Partnerschaften, mit denen das Unternehmen seine Stellung auf dem Client/Server-Markt untermauern will. Anlässlich der Presseveranstaltung «Borland Spring Tour» in Zürich vom März 96 stellte Borland auch das Kernprodukt ihrer Strategie vor, eben die Hochleistungs Entwicklungsumgebung Delphi 2. Delphi 2 soll Entwicklern alle Client/Server-Fähigkeiten bieten, die sie für die sichere und schnelle Applikationsentwicklung benötigen. Es erlaubt die problemlose Skalierbarkeit von Desktop- zu unternehmensweit einsetzbaren Lösungen, eben "The Upsizing Company". Nun zu den Features. Neben visueller Programmierung wurde in Delphi ein neues Klassenmodell integriert, welches unter dem Namen "Object Pascal" eine neu strukturierte Version von Pascal darstellt. Der Kern ist weiterhin der gute alte Borland-Compiler. Auch wenn die Sprache jetzt Object Pascal heisst - verändert hat sie sich (zum Glück, den Investitionsschutz ist auch bei Entwicklern gefragt) nicht viel. So werden die Objekte, d.h. also die Instanzen von Klassen, nicht mehr auf dem Stack, sondern dynamisch-referenziert auf dem Heap abgelegt. Die meisten Anbieter von Entwicklungsumgebungen rüsten nun auf die 32-Bit-Welt um. Neben dem gravierendsten Fortschritt, dem Wegfall der 64K-Datensegmentgrenze, nützt Borland die Umstellung, um Delphi 2 mit neuen Features und Komponenten abzurunden. So unterstützt Delphi 2 das Win95 Interface und das Win95 GUI. Die verbesserte 32-Bit-Borland Database Engine beschleunigt den Datenbankzugriff. Auch eine 32-Bit-Version des Local Interbase Server soll demnächst erscheinen.

OLE jetzt noch flexibler

Der von Microsoft über die PC-Grenzen hinaus propagierte OLE-Standard zum Austausch von Daten und Funktionen, berücksichtigt man unter Delphi 2 besonders. Der Entwickler verfügt über eine erweiterte Funktionalität, die es erlaubt, fremde Programme aufzurufen und sie aus der Delphi-Applikation heraus zu benutzen. Ähnlich wie Microsoft setzt auch Borland auf die neue Generation der wiederverwendbaren Komponenten OleCustomControls (OCX). So ist es z.B. kein Problem eine Zeitreihe aus einer Paradox 7 Datenbank mit Delphi 2 als Frontend in Excel 7 aufzubereiten.

Client/Server inside

Ein weiteres wichtiges Feature von Delphi ist wie gesagt die Unterstützung von Client/Server-Anwendungen. Aus diesem Grunde ist auch das Entwicklungssystem in drei Versionen erhältlich: in einer Standard Version, einer selbständigen Developer Version mit der Local Interbase Engine und einer Client/Server-Version gebündelt mit dem eigenen Datenbankserver Interbase 4.0 für Windows NT und Netware, zusätzlich die SQL-Links zur Ankopplung an die Datenbankserver von Oracle (das Oracle von Delphi), Sybase/Microsoft und Informix. Von der Konzeption her ist es nicht verwunderlich, dass die Borland-Entwickler eine eigene Datenbank-Engine integriert haben. Sie enthält die BDE-Technologie, die Zugriff auf die bereits erwähnten Datenbank-Server ermöglicht. Durch die Einbindung von Microsofts ODBC-Schnittstelle hat man Zugriff auf weitere Datenbanken wie z.B. FoxPro und Access. All das macht Delphi 2 meines Erachtens nach zu einem fast konkurrenzlosen Produkt. Ein weiteres Highlight soll auch der Import von Klassen aus DLLs sein, von denen dann weitere Unterklassen abgeleitet werden können. Die Unterstützung der alten und neuen Standards wie DDE und OLE 2.0 gehört ebenfalls zum Umfang des Systems. Konkurrenzlos ist auch die Tatsache, dass der in Delphi integrierte Compiler "reine" EXE-Dateien erzeugt, die dann keinen Interpreter in Form einer oder mehrerer DLLs mehr brauchen. Beeindruckend ist auch die Ausführungsgeschwindigkeit der Programme.

Make or Buy

In der industriellen Fertigung spricht man heute vielfach von der notwendigen Reduktion der Fertigungstiefe. Anstatt die einzelnen Bauteile selber zu fertigen, wird die Teilefertigung an spezialisierte Betriebe ausgelagert. Gerade im Computerbereich waren Firmen wie IBM, Apple und Compaq in den letzten Jahren unter Preisdruck gezwungen ihre Bauteile zunehmend auf dem Weltmarkt einzukaufen. "Auch im Softwarebereich werden immer mehr "make or buy" - Entscheide zugunsten von "buy" ausfallen. Deshalb lassen sich auf Compuserve und Internet schon heute zahlreiche freie und kommerzielle Komponenten finden", meint Roland Strauss von Philog. Delphi gibt die Aufgabenteilung zwischen Applikationsentwickler (application builder) und Komponentenherstellern (component writer) vor, eben make or (and) buy.

Kompaktere neue Umgebung

Bevor ich nun die neue Entwicklungsumgebung (die eigentliche Arbeitsoberfläche) näher vorstelle, noch ein paar Worte zur sogenannten Two-Way-Technologie, die von Borland als "neue Dimension in der Software-Technologie" propagiert wird. Hinter diesem Schlagwort verbirgt sich die Möglichkeit zur Entwicklung in zwei Richtungen; zunächst visuell und später im Quelltext sowie zunächst im Quelltext und danach visuell. So wirken sich die Änderungen im Quelltext sofort im visuellen System aus et vice versa. Unnötig zu sagen, dass auch diese Möglichkeit bislang von vielen Visual Basic-Entwicklern vermisst wurde.Zu den Hauptbestandteilen der Entwicklungsumgebung in Delphi 2 gehört in erster Linie die sogenannte Speedbar, die dem Entwickler in Form von Speedbuttons nicht nur die wichtigsten Funktionen zur Projektverwaltung, sondern auch Steuerelemente veschiedener Kategorien zur Verfügung stellt. Die Menüstruktur hat Borland grundlegend überarbeitet. Neben neuen Einträgen liessen sich auch viele Unterpunkte neu zusammenfassen und strukturieren. Unter dem Menüpunkt <File/New> lassen sich die Befehle nun kompakter abrufen. Besonders das «abgeleitete Formular» ist neu. So können Fomulare als Elternobjekt dienen - mit der Besonderheit, dass, wenn sich die Komponenten auf dem Elternobjekt ändern oder verschieben, auch die Komponenten auf dem abgeleiteteten Formular sich automatisch mitverschieben.

Alltagsarbeit

Bei der Alltagsarbeit häufig benötigte Funktionen zur Komponentenentwicklung und Datenbankpflege ordnete man eigenen Menüpunkten zu, wobei thematisch verwandte Funktionen jetzt zusammengefasst sind.So kann man zwischen den Standard-Elementen (Menü, Schalter, Liste u.a.), den Zusatz-Steuerelementen (Timer, Tabelle, Spread-Sheet u.a.), den grafischen Elementen, den Dialogfenster-Elementen, den Datei- und Verzeichnis-Auswahlboxen, den Datenbank-Steuerelementen und den (gleich bin ich fertig) durch Visual Basic beliebt gewordenen VBX-Controls wählen. Die Gruppen sind durch Hinzufügen neuer Elemente beliebig erweiterbar, wodurch dem erfahrenen Entwickler das Zukaufen von zusätzlichen Controls (obwohl möglich) von Drittanbietern erspart bleibt. Doch Delphi bietet noch wesentlich mehr. Jedes der Standard-Elemente ist sowohl in 2D als auch in 3D verfügbar. Wird ein Element auf einer Form plaziert, so wird der zugehörige Quellcode automatisch erzeugt. Jedes eingefügte Steuerelement ist eine echte Instanz (Objekt) der zugehörigen Klasse und der Entwickler hat somit mit Hilfe des Object-Inspectors die Möglichkeit, von dieser alten Klasse eine neue Klasse abzuleiten, die Eigenschaften und Methoden des Vorfahren in der Klassenhierarchie zu vererben und diese durch zusätzliche zu ergänzen. Diese objektorientierten Features machen Delphi 2 zu einem sehr offenen und flexiblen System.

Projektverwaltung

Auch die Art der Projektverwaltung wie auch die visuelle Programmierung ist bei Delphi sehr durchdacht. Zu jedem Projekt gehört wie üblich eine Projektdatei. Es können eine oder mehrere Units wie auch Formen eingebunden werden. Die Units beinhalten übrigens wie bisher die klassische Dreiteilung in Interface, Implementation und Initialisierung. Auf Wunsch kann auch mit MDI-Fenstern oder auch ganz ohne Forms gearbeitet werden. Einer meiner Tests bestand darin, soviele MDI als möglich zu generieren um zugleich den lokalen Heap zu beobachten. Die resultierende Kompaktheit des Speicherlayout war beeindruckend. Die Einstellungen der Optionen für die Projekte ist in Delphi sehr detailliert. Wie in Borland Pascal lassen sich zahlreiche Optionen ein und ausschalten, unter anderem solche Compilerschalter wie wort- bzw. byteweise Ausrichtung der Daten, Prüfung von Laufzeitfehlern und Verwendung von Callback-Funktionen. Zu den Linker-Optionen gehören in erster Linie die Einstellung der Heap- und Stackgrösse, welche die dynamische Speicherverwaltung einer EXE-Datei erst ermöglichen.

Delphi 2 in drei Versionen

Delphi 2 ist wie gesagt in drei Versionen erhältlich, nämlich Standard (ca. 299.- Upgrade), Developer (ca. 399.- Upgrade) und die Client/Server Suite (ca. 1499.- Upgrade). Ich möchte hier näher auf den Leistungsumfang der C/S-Suite eingehen. Mit der Delphi 2 C/S-Suite erhalten Sie ein komplettes 32-Bit Client/Server Entwicklungssystem, das Ihnen einen vollständig skalierbaren Datenbankzugriff ermöglicht. Entwicklern bietet dies folgende Vorteile: Entwickeln Sie im Team mit dem integrierten Version Control System (Intersolv PVCS). Mit dem SQL Database Explorer haben Sie die Möglichkeit, Server Parameter direkt aus der Oberfläche zu ändern. Sie erhalten einen Überblick über Ihre Datenbanken, Stored Procedures und Triggers. Der SQL Monitor ist in der Lage, Interaktionen zwischen ihrer Anwendung und einem SQL Server zu überwachen. Dadurch können Sie SQL Anwendungen testen und ein Feintuning durchführen. Als ich in der Ausgabe Computermarkt 95/5 einen Zugriff auf eine Oracle 7.0 Base unter NT testen wollte, vermisste ich diesen SQL-Monitor. Beim Upsizing Ihrer Datanbank hilft Ihnen der DataPump Experte. Dieser Experte ist in der Lage, Datenbanken zwischen Formaten und Plattformen zu skalieren. Der Visual Query Builder ist ein visuelles Tool, mit dem Sie SQL Abfragen übersichtlich erstellen können. Dabei erstellen Sie mit dem VQBuilder automatisch fehlerfreie (manchmal ist ein wenig Feinarbeit schon noch vonnöten) ANSI SQL 92 Befehle. Für den Zugriff auf verschiedene Server stehen Ihnen High-Performance 32-Bit SQL Links zur Verfügung. 16-Bit Entwickler erhalten mit der Delphi 2 C/S Suite sowohl die 16-Bit Version als auch neue 16-Bit SQL Links.Ferner erhalten Sie mit der Suite einen kompletten Handbuchsatz zum Thema Delphi und Entwicklung. Delphi 2 C/S ist mit diesem Lieferumfang ein abgeschlossenes Entwicklungssystem für Client/Server Profis und Entwickler.

Unterschied zwischen Delphi und Delphi Client/Server

Delphi 2 Client/Server ist für Client/Server und professionelle Datenbank-Entwickler gedacht. Die Client/Server Version enthält alle Komponenten des Delphi Developer und Standard Paket. Zusätzlich enthält Delphi Client/Server die folgenden Komponenten:SQL Links Ver. 2.5 sind dabei. Diese Version enthält native Treiber (Hochleistungstreiber) für Oracle, Sybase, MS SQL Server, Informix und Interbase. Diese Links sind weder im Delphi-Paket enthalten noch sind sie einzeln erhältlich. Sie ermöglichen «...unlimited royalty-free deployment across servers.», d.h. man darf beliebig viele Clients, welche auf beliebig viele Server zugreifen können, erstellen ohne dabei Lizenzgebühren an Borland entrichten zu müssen.Dies gilt übrigens nur für die Anwendung, die von Delphi erzeugt wurde und nicht für Delphi selbst! Wenn ein Team von 10 Entwicklern zusammen auf ein Client/Server Projekt hinarbeiten, müssen 10 Kopien der SQL Links sprich 10 Kopien von Delphi C/S gekauft werden.Durch das Local Interbase Deployment Kit kann der Delphi C/S Entwickler die Local Interbase Engine kostenlos mit seiner Anwendung vertreiben ohne irgendwelche Lizenzgebühren zu zahlen. Die Local Interbase Engine unterstützt nur 1 Client.Team-Entwicklung mit check-in, check-out, (Verwaltung von Entwicklungs-Projekte im Netz) und Versionskontrolle (PVCS Ver. 5.1 von InterSolv erforderlich)Die SQL-Version von ReportSmith (ReportSmith SQL) ist dabei.Der Visual Query Builder (Visual-Tool für Generierung von Queries und SQL Statements) und die Quelltexte der Visual Component Library.Zielgruppe für Delphi Standard und Developer sind demnach Windows-Entwickler und Programmierer lokaler Datenbankanwendungen.

Portierung von bestehenden Anwendungen

In den meisten Fällen wird das Portieren von 16-Bit Delphi Anwendungen auf 32-Bit reibungslos ablaufen. Dennoch gibt es einige Punkte zu beachten:Änderungen im Windows API lassen sich bei den meisten Programmen von der VCL abfangen. D.h., auf normale Delphi Applikationen wird dies keinen Einfluss haben. Sollten Sie jedoch ein spezielles API ansprechen, dass in Win95 /NT nicht vorhanden ist, müssen sie diesen Bereich manuell anpassen. Für den gleichzeitigen Umgang mit Integerwerten bei 16- und 32 Bit (unterschiedlicher Speicherbedarf der Integerwerte von je 2 bzw. 4 Bytes) enthält der Bereich Integer-Datentypen weitere Informationen. Zudem sollten Sie beachten: Die Grösse von Integer ohne weitere Angaben ist betriebssystemabhängig und kann sich auch in zukünftigen Versionen von Delphi ändern. Am besten ist es, SIZEOF(Integer) zu benutzen, um die aktuelle Grösse des Datentypes zu ermitteln.Wenn Sie planen, beide Plattformen (Win 16 Bit und Win 32 Bit) parallel zu unterstützen, sollten Sie Ihre Anwendung zuerst unter Delphi 16-Bit Version entwickeln und dann gegebenenfalls um neue 32-Bit Features erweitern oder einfach nur mit Delphi 2 neu kompilieren. Aber Achtung: Sie können Delphi 1.x Anwendungen zwar in Delphi 2 laden und bearbeiten, umgekehrt kann es jedoch zu Ressourcenkonflikten zwischen beiden Versionen kommen.

Borland schreibt wieder schwarze Zahlen

Jedenfalls ist meiner Meinung nach ein beeindruckendes und geniales Entwicklungspaket aus dem jedermann bekannten Turbo Pascal geworden. Auf die Frage ob Visual Basic 4.0 den Delphi-Boom wieder bremsen könnte, meint Gary Wetsel, seines Zeichens Präsident von Borland: "Technologisch sind wir mit Delphi eindeutig führend, aus jedem Vergleichstest gehen wir als klare Sieger hervor. Bereits jetzt bieten wir viele Features an, die Microsoft erst für 96 angekündigt hat - unser Entwicklungsvorsprung beträgt über ein Jahr. Delphi haben wir innerhalb nur vier Monaten rund 140000 mal verkauft, das entspricht einem Marktanteil um die 30 Prozent."Ein Blick in die Finanzwelt zeigt eindrücklich, dass die Borland-Aktien an der Nasdaq (New York) seit Anfang 1995 um 189% ! zugelegt haben. Dank drastischen Einschnitten im Ausgabebereich, die Belegschaft reduzierte man um 50%, und einer neuen Produktepalette dürfte der Gewinn weiterhin leicht zunehmen. Auch Borland-Gründer Philippe Kahn versucht ja momentan sein Glück mit einer neuen Firma, Starfish Software genannt. Kahn wäre nicht Kahn, hätte er die Ankündigung seiner neuen Firma, für die er als Chairman amtet, nicht dazu genutzt, kräftig die Werbetrommeln für Delphi zu rühren. Starfish, so Kahn, werde alle Produkte ausschliesslich mit Delphi programmieren. So auch bei Dynasoft, die den Nachfolger der erfolgreichen Verkehrswert-Schatzung «CalWin II» ausschliesslich mit Delphi entwickeln wird.


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