Simulation von Technologiewettläufen in Excel


© M + K Computermarkt 96/03, Luzern, Schweiz

Autorin: Dr. Silvia Rothen, rothen ecotronics, Bern, Schweiz
Letzte Überarbeitung: 13.05.18


Immer mehr Leute finden die Marktmacht von Microsoft beängstigend und trotzdem arbeiten fast all diese Leute weiterhin mit Windows und Microsoft Office. Das dem so ist, verdankt Microsoft nicht seinem geschickten Marketing oder der Überlegenheit seiner Produkte. In erster Linie liegt es nämlich an den Charakteristiken von Informationsmärkten, die im Gegensatz zu Gütermärkten starke Monopolisierungstendenzen aufweisen. Der Ökonome Brian Arthur hat dies bereits 1986 in seinem bahnbrechenden Artikel "Competing Technologies, Increasing Returns, and Lock-In by Historical Events" beschrieben. Mit einem kleinen Excel-Modell, das sich ab Excel 5 nachbauen lässt, kann man das leicht nachvollziehen. 


Inhaltsverzeichnis


Einleitung

Apples Marktanteil an den Betriebssystemen weltweit ist letztes Jahr kontinuierlich gefallen und befindet sich derzeit unter der kritischen 8-Prozentmarke. Insider geben dem Mac langfristig trotz seiner eingeschworenen Fangemeinde nur noch wenig Überlebenschancen. Dies hat wenig mit den technischen Vor- und Nachteilen dieses Betriebssystems gegenüber anderen zu tun. Nicht nur die Mac-Freaks gestehen dem Mac zu, dass das Betriebssystem bezüglich Ergonomie und Einheitlichkeit der Benutzerschnittstelle vieles schon seit Jahren bietet, was Microsoft gerade als neuesten Schrei von Windows 95 anpreist.

Die Tendenz von Microsoft, den Markt für Betriebssysteme je länger je mehr zu dominieren, ist nicht das Resultat technischer Überlegenheit sondern vielmehr die Konsequenz aus einem strukturellen Merkmal, das vor allem Informationsmärkte charakterisiert. Die wichtigsten Mechanismen dieses Marktes lassen sich in einem ganz kleinen Excel-Modell verdeutlichen.

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Ökonomischer Hintergrund

Dazu muss man sich erst einmal den Unterschied von Informationsmärkten zu Gebrauchsgütermärkten klar machen. Auf normalen Märkten haben die KundInnen gewisse Vorlieben für das Produkt von Anbieter A, B oder C. Der freie Wettbewerb führt dazu, dass der Markt sich zwischen verschiedenen Anbietern aufteilt. Die Marktanteile im Laufe der Zeit können zwar stark schwanken, doch es ist unwahrscheinlich, dass beispielsweise am Markt für Zahnpasten oder Autos ein Monopol entsteht. Ganz anders bei Märkten, wo das Produkt zu einem grossen Teil nicht aus Materie sondern aus Information besteht: Hier haben die KonsumentInnen nicht nur eine Vorliebe für einen bestimmten Anbieter A, B oder C, sondern die meisten von ihnen haben auch eine Vorliebe dafür, jene Produktvariante zu nutzen, die auch die Mehrheit nutzt.
Der Grund dafür ist die Kompatibilität. Information konsumiert man im Normalfall nicht für sich allein, sondern man möchte sie austauschen. Bei Information, die auf technischen Medien gespeichert ist, bedeutet dies, dass die technischen Systeme zu ihrer Nutzung kompatibel sein müssen. Dies gilt für viele Informationstechnologien, für Videostandards ebenso wie für Betriebssysteme. Dieser Wunsch nach Kompatibilität führt dazu, dass sich langfristig meist ein technisches System in einem Teilmarkt durchsetzt und die anderen verdrängt. Doch es gibt auch viel weniger technische Beispiele: Die heute übliche Tastaturbelegung ist das Resultat eines Technologiewettlaufs, bei dem schlussendlich nur noch ein Kandidat, die sogenannte QWERTY-Tastatur, übriggeblieben ist. Sicher ist vielen von Ihnen schon aufgefallen, dass es sich nicht unbedingt um die benutzerfreundlichste handelt. 

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Das Modell

Weshalb dies ist, lässt sich im folgenden kleinen Modell verdeutlichen: Es gibt zwei Kategorien von Personen und zwei Technologien. Die Personenkategorie R hat eine stärkere Vorliebe für die Technologie A (beispielsweise das Betriebssystem Windows), die Personenkategorie S dagegen für die Technologie B (vielleicht das Betriebssystem mit dem Äpfelchen). Beide Personenkategorien haben aber unabhängig davon ein Interesse, die mehrheitlich verwendete Technologie zu kaufen, weil es für sie mehr Programme gibt oder weil der Austausch von Daten und Dokumenten problemlos ist. Das Modell zeigt nun, dass unter diesen Annahmen eine der beiden Technologien den Markt längerfristig vollständig übernimmt. Welche der zwei Technologien dies ist, lässt sich nicht prognostizieren, weil es von kleinen, zufälligen Ereignissen abhängt. Im Modell simulieren wir dies durch den zufälligen Markteintritt von Personen der Kategorie R oder S.

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Umsetzung in Excel

Als erstes müssen wir eine kleine Tabelle mit Werten erstellen, die über das ganze Modell hinweg gleich bleiben (in der Fachsprache nennt man dies Parameter). Die Parameter aR, bR, aS und bS drücken aus, wie stark die Vorliebe der Personenkategorie R oder S für die Technologie A oder B ist. Aus der kleinen Tabelle in der Abbildung sehen Sie, dass die Personenkategorie R die Technologie A vorzieht. Beide haben aber auch eine Vorliebe dafür, zur Technologie zu gehören, die am Markt mehr verbreitet ist. kR und kS drücken dies für R und S aus. 
Man kann in der zweiten Tabelle mit dem eigentlichen Modell auch mit absoluten Bezügen ($A$1) auf diese Parameter arbeiten. Es empfiehlt es sich aber, mit "Einfügen - Namen - Übernehmen" den Werten in der 2. und 4. Spalte die Namen der Spalten links davon zu geben, um im Modell diese Werte zu verwenden.

Parameter
Personenkategorie R Personenkategorie S
aR 2 aS 1
bR 1 bS 2
r 0.2 s 0.2

Nach diesen Vorarbeiten kommen wir zum eigentlichen Modell. Wir nehmen eine Tabelle, in der wir in den Spalten bestimmte Ereignisse während einer Periode, also zum Beispiel Marktanteile, berechnen. Die Zeilen bilden eine Abfolge von gleichlangen Perioden. Da die Ereignisse einer Periode von der Vorperiode abhängig sind, initialisieren wir gewisse Werte in der Startzeile. Es sind dies nA, die Anzahl verkaufter Exemplare der Technologie A, nB, die Anzahl verkaufter Exemplare der Technologie B, und die Summe der verkauften Exemplare n. Da unser Modell mit der gleichzeitigen Lancierung beider Technologien beginnt, setzen wir diese drei Werte in der Startzeile auf 0.

Technologiewettläufe in Excel simulieren (Tabellenaufbau)

In jeder Periode tritt eine Käuferin (es könnte auch ein Käufer sein) in den Markt ein und entscheidet, ob sie ein Exemplar von Technologie A oder von Technologie B kaufen möchte. Ob diese Käuferin der Personenkategorie A oder B angehört, ist zufällig. In der ersten Spalte lassen wir mit =ZUFALLSZAHL() den Zufall wüten. Davon abhängig tritt in der zweiten Spalte mit gleicher Wahrscheinlichkeit entweder R oder S in Erscheinung. Dazu geben wir im Feld B6 folgendes ein: =WENN(A6<0.5;"R";"S"). A6 meint einen relativen Bezug auf das Feld links mit der Zufallszahl. 
In den nächsten 4 Spalten berechnen wir jeweils für die zwei Personenkategorien den konkreten Nutzen aus der Technologie A beziehungsweise B. Wenn wir uns aktuell im Feld C6 befinden, dann lautet die Formel für den ersten Fall "=aR+kR*H5". Der Nutzen der Technologie A für eine Person R ist gleich der Vorliebe aR plus der Vorliebe für Kompatibilität. Letzteres berechnen wir, indem wir den Faktor kR mit der Anzahl in der letzten Periode existierender Exemplare von Technologie A multiplizieren. Mit H5 greift man also auf den Wert nA der Vorzeile zu. Für die anderen drei Fälle lauten die Formeln entsprechend:

Spalte 4: =bR+kR*I5
Spalte 5: =aS+kS*H5
Spalte 6: =bS+kS*I5

Die folgende Spalte enthält die komplizierteste Formel des ganzes Modells, nämlich zwei ineinander verschachtelte Wenn-Dann-Funktionen. Eigentlich ist deren Aufgabe ganz einfach. Das äussere Wenn-Dann prüft, ob eine Kundin der Kategorie R oder S in den Markt eingetreten ist. Die zwei inneren Wenn-Dann-Funktionen prüfen für die zwei Kategorien, ob die jeweilige Kundin Technologie A oder B wählt. Dieses Feld gibt uns somit an, welche der zwei Technologien die Kundin in der aktuellen Periode gerade kauft, nämlich jene mit dem höheren Nutzen. Im Excel-Code sieht dies so aus:

Spalte 7: =WENN(B6="R";WENN(C6>D6;"A";"B");WENN(E6>F6;"A";"B"))

Die nächsten Spalten sind dagegen eine Kleinigkeit. Die Anzahl nA verkaufter Exemplare von Technologie A ist gleich der Anzahl in der Vorperiode + 1, falls in der aktuellen Periode A gewählt wurde. Das gleiche gilt für Technologie B. Die Summe dieser zwei ist wiederum gleich der Zahl der verkauften Exemplare insgesamt. Die drei Spalten sehen so aus:

Spalte 8: =H5+WENN($G6="A";1;0)
Spalte 9: =I5+WENN($G6="B";1;0)
Spalte 10: =+H6+I6

In den letzten zwei Spalten berechnen wir noch jene Werte, die uns am ganzen Modell überhaupt interessieren, nämlich die Marktanteile von A und B. Es sind dies für A =H6/$J6 und für B =I6/$J6
Nun haben wir unser Modell für die erste Periode erstellt. Indem wir die gerade erstellte Zeile etwa 100 Mal kopieren, fügen wir die nächsten Perioden des Modells automatisch an. Von den zwei letzten Spalten erstellen wir uns schliesslich auch eine Grafik, wie sie in der Abbildung zu sehen ist.

Aufteilung des Marktes zwischen konkurrierenden Technologien (Diagramm)

In den ersten zehn bis zwanzig Perioden teilt sich der Markt noch zwischen den einzelnen Technologien auf. Doch dann gewinnt eine Technologie, hier ist es B, die Überhand. Von diesem Zeitpunkt an kaufen alle Kundinnen nur noch B, auch wenn sie A eigentlich vorziehen würden, denn der Kompatibilitätsvorteil wird wichtiger als die eigentliche Vorliebe für ein Produkt. Die Parameter kS und kR, die wir anfangs auf 0.2 gesetzt haben, entscheiden, wie rasch der Markt auf die eine oder andere Seite kippt. Ihrer Experimentierfreude, neue Parameterwerte einzusetzen oder das Modell mit weiteren Kundenkategorien oder Technologien zu ergänzen, sind keine Grenzen gesetzt.

Wenn Sie Excel2000 auf Ihrem PC installiert haben (oder die Microsoft Office Web Components) und den Internet Explorer ab Version 5 benutzen, dann können Sie eine Online-Version des Technolgie-Modells (213 KB) betrachten. 

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Wirtschaftspolitisches Fazit

Trotz aller Vereinfachungen gewinnen wir mit diesem Modell eine wirtschaftspolitisch brisante Einsicht. Auf Märkten, bei denen Kompatibilität eine wichtige Rolle spielt, führt das freie Spiel des Marktes mit grosser Wahrscheinlichkeit dazu, dass eine Technologie die anderen über kurz oder lang vom Markt verdrängt. Die dominierende Technologie verdankt ihr Monopol nicht der technischen Überlegenheit, sondern kleinen zufälligen Ereignissen in der Vergangenheit. Wenn wie bei Windows ein einziger Hersteller diese Technologie anbietet, dann steuert der Markt im freien Wettbewerb auf ein Monopol und somit auf die Abschaffung seiner selbst zu. 

Diese Gesetzmässigkeiten - sie gelten in etwas abgewandelter Form auch für Eisenbahnnetze oder Postdienste - waren zu Beginn des Jahrhunderts Argumente für Verstaatlichungen. In der heutigen Liberalisierungseuphorie scheint man solche Einsichten nur allzu gern zu vergessen.

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Download der Excel-Datei

Die vollständige Excel-Datei (Version Excel 2000, 75 KB) können Sie hier herunterladen. Die Excel-Datei enthält einen Makro für die Neuberechnung des Modells. Wenn Sie Angst vor Viren haben, können Sie den Makro beim Öffnen deaktivieren und die Neuberechnung stattdessen mit der Taste F9 auslösen.

Quellenangabe und Buchtipp

Wer sich übrigens das Thema Technologiewettlauf im Original ansehen möchte und das Fachchinesisch nicht scheut, dem sei der folgende Artikel von Brian Arthur (1989) empfohlen: Competing Technologies, Increasing Returns, and Lock-In by Historical Events, Economic Journal 99, S. 116-131

Links zu Excel generell und zu weiteren Office-Programmen finden Sie in der Office-Linkliste in der Kategorie "Excel".

Und übrigens gibt's nun "Excel 2000 Direkt", das Excel-Buch der Autorin, als Antiquariatsartikel bei Data Becker für schlappe Euro 2,53. Bestellen Sie mit dem Stichwort "excel 2000 direkt" unter Data Becker.



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